Die Re-Ökonomisierung Europas
Es könnte alles ganz einfach sein. Denn so bedrohlich die wirtschaftliche Entwicklung derzeit scheint und so komplex die Gemengelage wirkt: Die Diagnose der Erkrankung, derentwegen die heimische Wirtschaft in einem jahrzehntelangen, schleichenden Prozess „abgesandelt“ (© 2013 by Christoph Leitl) ist, steht längst fest. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Burn-Out-Syndrom im fortgeschrittenen Stadium (im Fachjargon Teilzeit-Thrombose), fortgeschrittene bürokratische Arteriosklerose (volkswirtschaftliche Durchblutungsstörungen aufgrund von Überregulierung) sowie einen bedenklichen Muskelschwund (Arbeits-Atrophie, der Mangel an Fach- und Arbeitskräften).
Wer von seinem Hausarzt einen solchen Befund erhält, hat zwei Wahlmöglichkeiten. Der Patient Österreich kann sich und anderen den Arztbrief schönreden und so weitermachen wie bisher. Besserung ist von dieser Strategie allerdings nicht zu erwarten, aber was solls, only the good die young. Die Alternative ist für einen Staat nicht viel anders als für die übergewichtige und unterbewegte Privatperson: Man muss den inneren Schweinehund in den Zwinger sperren und sich von ein paar liebgewonnenen, aber schlechten Gewohnheiten verabschieden.
Wirtschaftskammer- und Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer hat das erst kürzlich wieder einmal eindringlich eingefordert. Er sieht die soeben absolvierte EU-Wahl als gute Gelegenheit, mit dem Wiedereinstieg ins wirtschaftliche Erfolgsprogramm zu beginnen. Gemeinsam mit der bald neu zusammengesetzten EU-Kommission sollten die Mitgliedsstaaten dringend daran arbeiten, Europa wieder wettbewerbsfähig zu machen: „Sonst sind wir Bürokratieweltmeister, aber die USA und China sind Innovationsweltmeister!“
Aber auch für Österreich hat Mahrer wirtschaftliche Gesundheitstipps: Denn wenn in den nächsten Jahren in Österreich 250.000 offene Stellen nicht besetzt werden können, ist das der ganz falsche Zeitpunkt, um über Arbeitszeitverkürzung nachzudenken. Im Gegenteil: Wir müssen mehr und vor allem die richtigen Menschen ins Land bringen, damit wir die Arbeit in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Pflege noch erledigen können. Wir müssen endlich die seit Jahrzehnten geforderten Kinderbetreuungseinrichtungen schaffen, damit auch junge Mütter früher wieder ins Arbeitsleben zurückkehren oder von Teil- auf Vollzeit aufstocken können. Wir müssen Senioren und Überstunden steuerlich entlasten, damit diese Mehrarbeit natürlich auch ein entsprechendes Mehr beim persönlichen Einkommen bedeutet, nicht mehr Lohnnebenkosteneinnahmen für den Staat. Der Staat muss schlanker und fitter werden – und aufhören, sich auf unser aller Couch immer breiter zu machen.
Europa fällt in der Welt zurück, und Österreich fällt innerhalb Europas zurück. Die nächste Bundesregierung muss diesen Abwärtstrend entschlossen stoppen. Es gibt große Debatten in Europa über die Re-Naturierung und die Re-Migration. Noch wichtiger ist eine Re-Ökonomisierung Europas, meint Ihre
Sylvia Gstättner
Wirtschaftsbunddirektorin