Kärntens Regionen brauchen Zukunft

Ohne regionale Wirtschaft kein ländlicher Raum, unterstreicht die Wirtschaftskammer und schlägt Sonderförderprogramme nach Tiroler Vorbild vor.

Den gemeinsamen Beschluss von Landesregierung und Sozialpartnern für die stärkere Verwendung regionaler Lebensmittel in Schulen und Krankenhäusern nahm heute Kärntens Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Mandl zum Anlass, auf die Bedeutung des ländlichen Raumes insgesamt und die vielfältigen Aktivitäten der Kammer hinzuweisen. Die dezentralen Regionen würden 90 Prozent der Fläche Kärntens umfassen, 56 Prozent der Bevölkerung beherbergen und 60 Prozent der Wertschöpfung erbringen, unterstrich Mandl: „Das sind beindruckende Zahlen – neben einem Zentralraum Klagenfurt-Villach, der selbstverständlich das Flaggschiff ist.“

Chancengleichheit braucht Planung
Die Kärntner Regionen seien in Zukunft mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. So werde die demografische Entwicklung zur Verschiebung der Altersstrukturen und Wanderungsbilanzen führen. Mandl: „Um die Chancengleichheit für die Bevölkerung im ländlichen Raum zu sichern, ist auf die demografische Entwicklung in allen Planungsbereichen Bedacht zu nehmen.“ Dies gelte für die Raumordnung (Stärkung der zentralen Orte), die Alters- und Gesundheitsvorsorge (Altenbetreuung und Pflegeeinrichtungen, Kinderbetreuung), für eine geplante Wirtschaftsentwicklung (interkommunale Wirtschaftsregionen und Gewerbeparks, aktive Ansiedlungsoffensive) ebenso wie für Infrastruktur- und Mobilitätsmaßnahmen (Sicherung der Nahversorgung, regionale Verkehrskonzepte, konzentrierte Siedlungsentwicklung).

Das Kaufverhalten entscheidet
Das Herzstück für lebendige Regionen seien allerdings gesunde, vitale Unternehmen. Und diese in den Regionen zu erhalten, bedeute auch eine Herausforderung für alle öffentlichen Auftraggeber, für die Unternehmer bei ihren B2B-Geschäften sowie für jeden einzelnen Konsumenten. Mandl: „Wer auf Kärntner Unternehmen setzt, sichert damit auch heimische Arbeitsplätze, gerade in den Regionen. Wer Lehrstellen in den Regionen will, der muss sich bewusst sein, dass er mit seinem Konsumverhalten auch selbst einen Beitrag für oder gegen Ausbildungsplätze für unsere Jugend leistet bzw. leisten kann. Und dass Wohlstand und Lebensqualität in den Regionen untrennbar mit der regionalen Wirtschaft verbunden ist, liegt ohnedies auf der Hand.“

„Sitzen in einem Boot“
In diesem Zusammenhang erinnerte Mandl an das „Handbuch zur Regionalvergabe“, mit dem die Wirtschaftskammer Kärnten seit zehn Jahren der öffentlichen Hand Tipps und Anregungen gebe, wie öffentliche Aufträge völlig rechtskonform bei Kärntner Betrieben bleiben. Mandl: „Deshalb finde ich es unnötig, wenn der KWF freihändig Aufträge in Millionenhöhe an Wiener Agenturen vergibt, wenn Veranstaltungen zum Radmasterplan von Wiener Agenturen abgewickelt werden oder wenn das aktuelle Rudolfinum-Jahrbuch des Landesmuseums in der Steiermark gedruckt wird. Da wurde bei Kärntner Firmen nicht einmal angefragt – und das wäre ja wohl das Mindeste, denn am Ende des Tages sitzen wir alle gemeinsam im Boot.“

Tirol als Vorbild
Mandl regte daher an, dass bei künftigen Förderprogrammen Zuschläge für Betriebe in ländlichen Regionen vorzusehen und sich bei der Aufrechterhaltung lebendiger Regionen Tirol als Vorbild zu nehmen: „Dort hat die Landesregierung für besonders benachteiligte Regionen langfristige Sonderförderprogramme – meist zehn Millionen Euro für zehn Jahre – beschlossen, um die Entwicklung abseits des Zentralraums zu unterstützen und der Abwanderung entgegenzuwirken. Solche Überlegungen werden wir auch mit der Kärntner Landesregierung im Zuge der kommenden KWF-Planungsperiode besprechen.“

„Auf dem Land wächst die Wut“
Jemand, der sich seit langem mit der schwierigen Situation der dezentralen Regionen befasst und sich den Ehrentitel „Dorfpapst“ erarbeitet hat, ist der Humangeograph Gerhard Henkel, der am Vormittag im Rahmen eines Workshops im Haus der Wirtschaft über seine Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen Stadt und Land gesprochen hatte. Für ihn ist die Politik der Länder und des Bundes schuld an der teils negativen Entwicklung des ländlichen Raums, der sich oft entmündigt, bevormundet und alleingelassen fühle. „Die Infrastruktur, die Läden, die Gastronomie, die Schulen, Verwaltungen und Kirchen ziehen sich zurück – die Menschen in den Dörfern verzweifeln. Damit wächst die Wut auf den Staat, und das Ergebnis sind dann die Protestwähler.“

Hohe Lebenszufriedenheit
Die gute Botschaft Henkels: „Die Kraft des Landes ist noch da!“ Der ländliche Raum schaffe nach wie vor nicht nur mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung, sondern sei für Lebensmittel, Rohstoffe und erneuerbare Energie unverzichtbar. Im Vergleich mit den Ballungsräumen sei die Lebenszufriedenheit „auf dem Dorf“ doppelt so hoch, was nicht nur mit der praktischen Alltagskultur und der sinnstiftenden ehrenamtlichen oder genossenschaftlichen Herangehensweise an viele Herausforderungen zu tun habe, sondern auch mit den weit besseren Chancen für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. Henkels Appell an die „Zentralen der Entscheider: Lasst die Dörfer, die Landgemeinde leben und ihre bürgerschaftlichen Kräfte neu entfalten. Das wird zum Nutzen aller sein.“

Kampf gegen neue EKZ
Eine wichtige Vorrausetzung für diese Entwicklung ist das neue Kärntner Raumordnungsgesetz, das Gerhard Genser, Leiter der Wirtschaftspolitik in der Kammer und seit 15 Jahren Mitglied des Raumordnungsbeirats, scharf kritisierte: Die geplante neue Ortskernregelung gehe in die falsche Richtung. „Statt bisher 33 Einkaufszentren in Kärnten könnten demnach 132 EKZ entstehen. Die Nahversorgung wird dadurch nicht gesichert, sondern im Gegenteil gefährdet: Die bestehenden Geschäfte in den Tälern werden sich nicht halten können, wenn neue 1000-Quadratmeter-Märkte an den Taleinfahrten die Kaufkraft abschöpfen.“

Handel will Nahversorgerförderung
Deswegen müsse, wer Nahversorgung wolle, auch etwas für sie tun, betonte Nikolaus Gstättner, Geschäftsführer der Sparte Handel der WK Kärnten. Kärnten sei seit zwei Jahren da einzige Bundesland ohne Nahversorgerförderung, die zudem weniger den Charakter einer Wirtschaftsförderung als einer Unterstützung ländlicher Strukturen habe. In Summe gehe es um 200.000 Euro, mit den Arbeitsplätze gesichert und Kommunalabgaben gewährleistet wären – Gstättner: „Ein Kreislauf, der sich schließt. Sonst können sich ortsgebundene Menschen nicht mehr mit den Gütern des täglichen Bedarfs versorgen.“

Onlineshopping kostet 4000 Arbeitsplätze
Das verdeutlicht auch eine aktuelle Kampagne der Wirtschaftskammer: „Mit der Aktion „Heimkaufen“ machen wir heuer bereits zum fünften Mal Konsumentinnen und Konsumenten mit einem Augenzwinkern darauf aufmerksam, wie wichtig regionale Kaufentscheidungen für den Lebensstandort Kärnten sind“, erklärte Marketingleiter Markus Polka. Schon heute würde der Kaufkraftabfluss übers Internet 4.000 Arbeitsplätze im Kärntner Handel kosten – und somit auch 4.000 Einkommen, die wiederum im regionalen Wirtschaftskreislauf fehlen.

Gehen Sie „Heimkaufen“
Mit der Aktion „Heimkaufen“ wolle die Wirtschaft die Bevölkerung auch aufrufen, dass sie stolz sein solle auf ihren Lebensstandort Kärnten und das auch beim (Weihnachts-)Einkauf auch zeigen. Polka: „Unsere Bitte: Lassen Sie Ihr (Weihnachts-)Geld im Land, gehen Sie ,Heimkaufen‘. Wir sollten zwar global denken, aber regional einkaufen! Unseren Arbeitsplätzen und unserer Umwelt zuliebe! Denn ohne Unternehmen gibt es keine regionalen Arbeitsplätze und ohne Arbeit kein Leben in den Dörfern und Regionen.“

Wirtschaftskammer bleibt regional
Die Wirtschaftskammer ist sich ihrer regionalen Verantwortung jedenfalls bewusst, wie Jutta Steinkellner, Leiterin des Servicezentrums und Koordinatorin der WK-Bezirksstellen (Hermagor, Spittal, Villach/Villach Land, Feldkirchen, Klagenfurt/Klagenfurt Land, St. Veit, Völkermarkt, Wolfsberg) versicherte: „Wir sind und bleiben in allen Regionen vertreten, um vor Ort für unsere Unternehmer da zu sein.“ Die regionalen WK-Filialen würden wertvolle Dienste leisten nicht nur bei der Servicierung der dort ansässigen Betriebe und der Interessenvertretung gegenüber Bezirksbehörden und Gemeinden, sondern auch bei der Gründerberatung und als Kommunikationsplattform bei zahlreichen Veranstaltungen.

Foto: WKK/Fitz-Press