Neue Helden braucht das Land

Es ist kompliziert. Diese ursprünglich als humorvolle Beschreibung des Beziehungsstatus gedachte Formulierung gilt neuerdings in so gut wie allen Belangen des Miteinanders.

Alt gegen Jung bei den Pensionen, Arm gegen Reich bei den Steuern, Alteingesessene gegen Neuankömmlinge bei den sozialen Sicherungssystemen. Von der „Spaltung der Gesellschaft“ ist allerorts die Rede. Besonders deutlich wird das Auseinanderdriften allerdings im Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft: Wo das Recht auf Selbstverwirklichung zur Religion erhoben wird, bleibt für die Pflicht zur Gemeinschaft wenig Raum.

Ob privater Freundeskreis, Sozialversicherung oder Wirtschaftskammer: Die Hyperindividualisierung, das ständige „Sich-neu-erfinden“ stellt das persönliche, berufliche oder staatsbürgerliche Umfeld oft vor Herausforderungen. In den vergangenen Monaten hat sich beispielsweise die Diskussion um Voll- und Teilzeitarbeit verschärft. Das Beschäftigungswachstum des vergangenen Jahres im Vergleich zu 2021 geht zum allergrößten Teil auf das Konto von Teilzeitjobs (ein Plus von 7 Prozent), während die Vollzeitstellen nur um 1,6 Prozent zunahmen. Hinter dem Teilzeitboom stehen einerseits Betreuungspflichten — erstmals arbeitet mehr als die Hälfte aller Frauen in Teilzeit, davon etwa 40 Prozent der Kinder wegen —, andererseits aber auch stark zunehmend bei Männern eine veränderte Einstellung zu Leben und Beruf, Stichwort: Work-Life-Balance.

Nun ist dieser Begriff schon allein deshalb — vorsätzlich? — irreführend, weil es keinen Gegensatz zwischen Arbeit und Leben gibt, der ausbalanciert werden müsste. Arbeit, ob Erwerbs-, Familien- oder Gemeinschaftsarbeit, ist ein sinnstiftender Teil des Lebens, nicht sein Gegenteil. Die richtigen Antagonisten heißen Arbeitszeit und Freizeit, und viele Menschen tendieren nicht erst seit Corona, aber seitdem verstärkt dazu, ihre persönliche Balance eher bei 20 als bei 40 Arbeitswochenstunden einzupendeln.

Und diese individuelle Entscheidung verschärft nicht nur den aktuellen Arbeitskräftemangel für die Wirtschaft ganz dramatisch, sondern schafft auch ein ernstes gesellschaftliches Problem: Sich nur mit halber Kraft ins Zeug zu legen, aber alle sozialen Leistungen vom Bildungs- über das Gesundheits- bis zum Sozialsystem zur Gänze in Anspruch nehmen zu wollen, geht sich sehr schnell nicht mehr aus. ExpertInnen wie die Ökonomin Monika Köppl-Turyna warnen schon seit Monaten vor der Teilzeitlücke: „Demografisch bedingt haben wir immer weniger Arbeitskräfte. Wenn jetzt noch jeder Einzelne weniger arbeitet, wird das Arbeitsvolumen sinken. Das wird ein Problem für alle staatlichen Leistungen werden.“

Klar ist eines, und dazu muss man weder Volkswirt noch Mathegenie sein: Wir werden in Zukunft mehr oder länger arbeiten müssen, wenn wir unseren Wohlstand und unsere Wohlfahrt als Gesellschaft erhalten wollen. Wir werden dazu alle digitalen Helferlein und qualifizierten Zuzug aus dem Ausland brauchen. Und einen gemeinsamen Kraftakt von Politik, Meinungsbildnern und Wirtschaft, um das Bewusstsein in der Bevölkerung für die persönlich und gesellschaftlich unverzichtbare Bedeutung von Arbeit und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit wiederzuerwecken. Held oder Heldin ist nicht, wer im Streben nach Selbstfindung und Selbstverwirklichung unser Sozialsystem strapaziert. Sondern vielmehr jene, die als Leitfaden allgemeingültige Pflichten und Rechte in der Gesellschaft achten und in diesem Rahmen Persönlichkeit entwickeln und unsere Gesellschaft schützen,

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