Neuanfang
Politik bedeutet nicht nur ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich, wie uns Max Weber wissen ließ. Manchmal ist sie auch disruptive Veränderung binnen weniger Momente – zum Beispiel am 3. Jänner, als Neos-Chefin Meinl-Reisinger die Verhandlungen zur österreichischen Variante einer Ampelregierung abrupt beendete. Es war ein kleiner Schritt für die Chefin der jüngsten Partei im Parlament, aber ein großer Sprung für Österreich in die dritte Republik.
Jetzt ist plötzlich bei vielen, die vorher noch eine Austro-Ampel scheel beäugt und allenfalls höchst zurückhaltend kommentiert haben, die demokratiepolitische Besorgnis groß. Bei aller Selbstkritik: Am Platzen der Regierungsverhandlungen ist keineswegs allein die ÖVP schuld. In dieser Ausweg- und Alternativlosigkeit, mit der sicheren Aussicht auf ein schlechteres Ergebnis bei Neuwahlen, in Verhandlungen mit der FPÖ gehen zu müssen, ist die politische Höchststrafe. Der arrogante Auftritt von FP-Chef und Kanzler-Aspirant Herbert Kickl nach der Beauftragung mit der Regierungsbildung durch den Bundespräsidenten am Dienstag war ein kleiner Vorgeschmack auf das partnerschaftliche Klima, in dem diese Gespräche wohl verlaufen werden.
Aus Sicht der Wirtschaft hat sich zwar der Gesprächspartner geändert, nicht aber die Agenda. Die Probleme sind seit der Nationalratswahl vor mehr als 100 Tagen dieselben geblieben, eher haben sie sich verschärft. Die phasenweise hohe Inflation und die dadurch ausgelösten Lohnabschlüsse belasten immer noch die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Das sieht man besonders dramatisch im Wettbewerbsranking des IMD: Dort lag Österreich 2007 auf Platz 11, 2019 noch auf Rang 19 weltweit, jetzt sind wir auf Rang 26 abgerutscht.
Das hat schlicht damit zu tun, dass unsere Lohnstückkosten von 2021 bis 2024 um satte 30,2 % gestiegen sind. In Deutschland waren es in diesem Zeitraum nur 14,3 %, in Frankreich 11,4 %, in der Schweiz gar nur 5,8 %. Die Politik hat uns damit aus dem Markt gepreist. Entsprechend eindringlich waren in den vergangenen Monaten unsere Forderung nach Kostensenkungen, Entbürokratisierung und einem Comeback von Leistungsbereitschaft und Leistungsfreundlichkeit. Diese Positionen haben wir auch in den Verhandlungen zur Bildung einer Dreiparteienkoalition von ÖVP, SPÖ und Neos sehr konsequent vertreten. Aber vor allem der SPÖ war die Wiedererlangung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit durch finanzielle und bürokratische Entlastung kein Anliegen; der neue Vorsitzende Babler konnte die ideologischen Scheuklappen trotz intensiver Bemühungen auch auf Ebene der Sozialpartnerschaft nicht ablegen.
Nun geht es darum in den Gesprächen mit der FPÖ weiter zu kämpfen, um Verständnis und Unterstützung tiefgreifender Reformen bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Politik muss wieder die leistungsbereiten Österreicherinnen und Österreicher in den Mittelpunkt rücken und dafür sorgen, dass sich persönlicher Einsatz auch lohnt. Sinkende Lohnnebenkosten müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen, das Zurückstutzen bürokratischer Auswüchse unseren Unternehmen Handlungsfähigkeit, Planbarkeit und Flexibilität zurückgeben. Entscheidend wird es im Hinblick auf unsere Demografie sein, qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt zuzulassen, aber nicht in unsere Sozialsysteme. Denn nur eine offene österreichische Wirtschaft kann von einem funktionierenden europäischen Binnenmarkt und fairen internationalen Handelsabkommen profitieren, mit denen uns Europa Türen zu neuen Märkten öffnet.
Das sind aus wirtschaftlicher Sicht die Grundzüge der kommenden Gespräche. Ihr Ausgang wird darüber entscheiden, ob die ÖVP einen Neuanfang mit der FPÖ wagen kann, meint Ihre
Sylvia Gstättner
PS: Am kommenden Sonntag sind Sie aufgerufen, über die Windenergieerzeugung in Kärnten abzustimmen. Sagen Sie Nein zu Verboten: Der Wirtschaftsstandort Kärnten braucht alle erneuerbaren Energieformen, auch die Windkraft an ausgewählten Standorten, um die Energiewende zum Wohle des Klimas und der heimischen Stromversorgung bewältigen zu können. Und er braucht Sie und Ihre Stimme, damit uns die Fortschrittsfeinde nicht die Zukunft verbieten. Bitte machen Sie von Ihrem Stimmrecht Gebrauch.