Die Ukraine und die Kärntner Agrarwirtschaft

Eine genaue Betrachtung der Auswirkungen auf die heimische Agrar-und Lebensmittelwirtschaft von WB-Gremialobmann Dipl.-Ing. Rudolf Grünanger.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine, die übersetzt „Grenzland“ heißt, hat Schockwellen durch die Märkte gejagt. Der Weizen stieg innerhalb kurzer Zeit um € 50 je Tonne, Harnstoff um ein Drittel oder € 200 je Tonne und Rohöl der Sorte Brent auf über 100$ je Barrel. Die Welt hält den Atem an, Europa verhängt Sanktionen, die mit jedem Tag schwergewichtiger werden und auch Österreich meldet sich laut Außenminister Schallenberg zurück von über 77 Jahren „Urlaub aus der Geschichte“.

Derzeit sind die Schwarzmeerhäfen blockiert; bei einem Angriff auf die Getreideterminals in der Hafenstadt Odessa und anderen Städten befürchtet man schwerere Schäden. Ohnedies läuft momentan nichts, da die Arbeiter entweder geflüchtet oder durch die Generalmobilmachung (18-60 Jahre) eingezogen sind. Die Getreide-Lieferketten stocken und auch im Falle einer schnellen Öffnung braucht es mindestens drei Wochen bis Lieferungen wieder in Gang kämen. Die europäischen Südländer, Spanien und Italien, sind mit Mais für ca. maximal sechs Wochen versorgt. Alternativen sind auf Grund phytosanitärer Vorschriften bzw. von nicht zugelassenen GMO-Konstrukten nur erschwert möglich.

Über die Schwarzmeer-Region läuft ein Drittel der globalen Weizenexporte, also ca. 60 Mio Tonnen. In der Ukraine ist unklar, wann und ob die Feldarbeiten wieder aufgenommen werden können. Über Russland hängen die Sanktionen, sodass die Ware ausschließlich in den arabischen Raum und China verschifft werden wird, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit von europäischen Weizen insgesamt stärken sollte. Derzeit (28. Feber 2022) liegt der März-Termin für Weizen bei € 310/Tonne, exkl. USt.

Die Ukraine ist ein wesentliches Mais-Exportland, wobei jeweils die Hälfte in die Europäische Union und die andere Hälfte nach China gehen. Europa importiert ca. sechs bis zwölf Millionen Tonnen, die vorwiegend Südeuropa erreichen. Die Schwierigkeiten von geänderten Lieferketten-Bedingungen (z.B. Mais aus den USA oder Südamerika) habe ich bereits im obigen Absatz skizziert. Abgesehen davon ist noch nicht klar, ob und in welchem Ausmaß ukrainische Felder bestellt werden können. Das schlägt sich auch in den Notierungen der Matif Paris nieder (28.2.2022), wo Mais bei € 320/Tonne exkl. USt liegt.

Laut EU-Kommission ist die Ukraine globaler Hauptlieferant bei Sonnenblume (Öl und Schrot), aber auch von Rapsschrot. Es ist daher von starken Preissteigerungen bei Futter- und Lebensmitteln auszugehen.

Bei Dünger hätten wir uns auf langsame Preisrückgänge eingestellt. Daraus wird nun nichts! Wesentliche Produzenten und Lieferanten ziehen sich vom Markt zurück; vermutlich auch weil sie nicht garantieren können, dass genügend Erdgas für die industrielle Produktion zur Verfügung stehen wird. Derzeit ist allerdings noch etwas Ware vorhanden. Russland und Weißrussland sind nach Kanada zweitgrößte Kali-Produzenten weltweit. Russland galt zudem als global größter Exporteur von Stickstoffprodukten. (Agrarheute 25.2.2022) Auf Grund der Sanktionen gegen Russland müssen wir daher längerfristig mit hohen Düngepreisen rechnen.

Im Energiebereich sind die ersten Schockwellen schon verdaut. Rohöl und die Strombörse Leipzig sind auf normalen (=hohen) Kursen, allerdings sind die Kurse zu den Höchstwerten der letzten Tage bereits leicht zurück gegangen. Eine gewisse Normalisierung scheint in spürbarer Nähe. Ganz anders bei Erdgas! Der teilweise Ausschluss Russlands von Swift könnte auch die Erdgasversorgung beeinträchtigen. Das würde zu einem gravierenden Problem für die Maistrocknung. Ungefähr die Hälfte jenes Kärntner Maises, der verkauft wird, wird mittels Erdgas getrocknet. Die andere Hälfte geht als Nassmais nach Italien, allerdings auch nur, wenn dort Erdgas zum Trocknen zur Verfügung steht. Wir werden daher mit unseren Lieferanten Alternativen prüfen, wie beispielsweise mittels Flüssiggas-Containern. Der Ausfall von Erdgas im Getreide-Trocknungsbereich würde meiner Ansicht nach im internationalen Agrarhandel „Force majeur“, also Höhere Gewalt, bedeuten. D.h., Lieferanten könnten sich von aufrechten Verträgen zurückziehen. Das wäre für den Kärntner Agrarhandel und die Kärntner Landwirtschaft ein Katastrophen-Szenario, weil nur kleine begrenzte Mengen übernommen werden könnten.

Das europäische Agrargeschäft ist ohne ukrainische Erntehelfer und Beschäftigte in der Fleischindustrie schwer vorstellbar, besonders in Polen, Deutschland aber auch vereinzelt in Österreich. Allerdings fehlt mir in diesem Bereich auf Grund nicht vorhandener Daten ein genauer Überblick.

Zusammenfassung: Die Invasion Russlands in der Ukraine wird das politische und wirtschaftliche Gefüge, vor allem globale Lieferketten, wesentlich verändern. Die Themen Verteidigung und Sicherheit haben bereits einen höheren Stellenwert bekommen; alleine in Deutschland ist diese neue Sicht 100 Milliarden Euro wert. Die Abhängigkeit vom russischen Erdgas muss kurz- und mittelfristig gelöst werden; langfristig ist in Europa der Ausbau erneuerbarer Energien „alternativlos.“

Weitere Auswirkungen auf die Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln hängen nun in hohem Ausmaß von klimatischen und wetterbedingten Gegebenheiten ab. Dennoch: Wie gut, dass wir auf eine starke Landwirtschaft und eine effiziente und vitale Lebensmittelbranche in Österreich zählen können!

 

DI Rudolf Grünanger ist Geschäftsführer der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Klagenfurt-St. Veit-Rosental.

Der studierte Agrarökonom engagiert sich als Gemeindevorstand in Techelsberg, wo er eine Landwirtschaft betreibt.

Als Gremialobmann des Kärntner Agrarhandels vertritt er für den WB-Kärnten die Interessen der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft.